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Das Adrenalin und die Liebe zum Ringkampf

2018-Fening-Brüder

Das Adrenalin und die Liebe zum Ringkampf

20
Jan
2018

MENSCHEN UND SPORT: Die Fening-Brüder, die ihre Kindheit in Kasachstan erlebten, haben die Entwicklung bei den Lahrer Ringern stark mitgeprägt.

Vor einem Vierteljahrhundert, am 18. Januar 1993, betrat Familie Fening bei Nürnberg deutschen Boden. Sie zählte fünf Köpfe: Vater Andreas, Mutter Elena, die Söhne Andreas, Vjatscheslav und Alexander. Eine Reise von rund 5 000 Kilometern, die in Kasachstan begann, hatten sie hinter sich und zudem große Hoffnungen im Gepäck. So wie Viele, die vor und nach ihnen kamen. Vor ein paar Tagen feierten die Fenings dieses Jubiläum, dazu hatten sie beim Griechen einen Tisch für 17 Personen bestellt. Es soll fröhlich zugegangen sein. Schließlich sind sie angekommen in diesem Land, im wahren Wortsinn. Eine besondere Rolle spielt dabei der Sport.

"Ringen ist mein Leben. Ohne den Sport kann ich nicht sein", sagt Alexander. Vjatscheslav, in dessen Personalausweis heute der Name Willi steht, nickt dazu nur. Dorothea Oldak, Pressereferentin der RG Lahr und Referentin für Öffentlichkeitsarbeit des Südbadischen Ringerverbandes, beschrieb ihre Bedeutung in einem Artikel im Internet: "Zwei Brüder, die unsere Vereinsgeschichte in den letzten Jahren maßgeblich mitgeprägt haben." Angefangen hat die Liebe der Fenings zum Mattensport in Peterfeld, einem deutschen Dorf in Kasachstan. Andreas, der älteste der drei Fening-Buben, hatte die Brüder zum Ringen mitgenommen. Da waren sie sechs und acht Jahre alt. Dies erwies sich als Glücksfall, denn dieser Sport bot ihnen im neuen Leben in Deutschland sofort die Chance, etwas zu leisten, wofür es Anerkennung gab. Nur zwei Beispiele für ihre individuellen Meriten: Alex wurde 1995 in der C-Jugend Deutscher Meister, Willi erkämpfte sieben Jahre später bei den Junioren Platz vier. Andreas hat heute mit dem Ringen nichts mehr zu tun. Die beiden anderen aber schon.

39 Jahre hat Willi auf dem Buckel, zweieinhalb mehr als der Bruder, er sagt aber bei der Begrüßung grinsend: "Die Leute halten Alex für den Älteren." Was wohl auch daran liegen könnte, dass dieser größer ist und rund 20 Kilogramm mehr auf die Waage bringt. Willi hat seine aktive Laufbahn auf der Matte vor fünf Jahren beendet, der Bruder aber kann es nicht lassen. "Ohne Ringen fehlt mir das Adrenalin", räumt er gerne ein. In der vergangenen Bezirksligasaison, die durch den lange ersehnten Aufstieg in die Verbandsliga gekrönt wurde, zog sich der 102 Kilo schwere Athlet dreimal das Ringertrikot über, um seiner RG Lahr im Schwergewicht auszuhelfen. Er tut dies ein bisschen für sich selbst, sagt aber auch: "Der Erfolg der Mannschaft steht im Vordergrund."

"Die Jungs kommen weg von der Straße."

Alexander Fening:

Für ihn ist Ringen "erstmal Charaktersache." Denn dieser entwickele sich dort bestens. "Die Jungs kommen weg von der Straße. Das ist gut, denn es gibt ja noch andere Wege", sagt er und lässt Raum für ein paar Gedanken. Auch drei Operationen, zahlreiche Verletzungen haben an der Zuneigung zum traditionsreichen Mattensport nichts geändert. In Alexanders Rücken stecken zudem sechs Titanschrauben – keine Andenken an eine lange Ringerkarriere, wie er gleich erklärt, sondern Hinweise auf vererbte Probleme.

Peterfeld, ihr Heimatdorf im Westsibirischen Tiefland, hat sich arg verändert, wie die Fenings bei ein paar wenigen Besuchen dort festgestellt haben. "Die meisten Deutschen sind weg", sagt Willi. Das große anfängliche Heimweh ist längst verflogen, er blickt auf den Ort der Kindheit jetzt relativ nüchtern. "Es gibt in Peterfeld keine Arbeit", schiebt er nach. "Wir haben also alles richtig gemacht." Doch wie steht es um Integration und Identität? Fühlen sie sich als Russlanddeutsche? Als Deutsche? Wie stark ist noch die Beziehung zum Land, in dem sie ihre ersten Lebensjahre verbracht haben? "Ich fühle mich voll integriert", erklärt Willi mit fester Stimme. Alex denkt eine Weile nach und sagt dann mit einem Lächeln einen Satz, den man so, oder so ähnlich, schon oft gehört hat von Menschen, die aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland migriert sind: "Dort waren wir Faschisten, hier sind wir Russen."

Die Fenings sind zweisprachig, ohne jeden Zweifel. "Daheim schaue ich, dass ich mit den Kindern Russisch spreche. Das ist für sie ein Geschenk", erklärt Alex. "Auf der Matte und im Verein aber spreche ich nur Deutsch, das gehört sich so." Beruflich haben sie ihre Wege gefunden. Willi, der in Ettenheim wohnt, verdient sein tägliches Brot als IT-Systemelektroniker bei Bosch Sicherheitssysteme in Freiburg. Alex ist in Lahr zu Hause und arbeitet als CNC-Dreher bei der Firma Meiko in Offenburg.

Beide sitzen mittlerweile im Vorstand der RG Lahr, die 1997 aus KSV Lahr-Kuhbach und ASV Reichenbach entstand. Der Verein erbringt eine beeindruckende Integrationsleistung, die schon mehrfach öffentlich gewürdigt worden ist. Willi ist stellvertretender Vorsitzender, sein jüngerer Bruder bringt sich als Beisitzer ein. "Der Verein lebt durch ehrenamtliche Arbeit, da sind wir voll dabei", sagt der Ältere.

Beide haben jeweils eine Tochter und einen Sohn. Die Buben – wie könnte es anders sein – ringen. Sehr zur Freude der Papas. Bei der Bezirksmeisterschaft in Kappel haben sie am vergangenen Wochenende ihre Talente aufblitzen lassen. Alexander, der Sohn von Alexander, wurde in der 26-Kilo-Klasse Erster bei der E-Jugend. Sein Cousin Luis errang den zweiten Platz bei der B-Jugendlichen in der Kategorie bis 44 Kilogramm. "Ich bin froh, dass mein Sohn zu diesem Sport gefunden hat, dass er diese Tradition fortführt und dass er Erfolge hat", gibt Willi zu. Die Prioritäten aber sind klar: "Erst Familie und Arbeit, und dann kommt gleich das Ringen."

Das Gespräch mit den Fenings findet auf der Bühne der Kuhbacher Festhalle statt. Hinter dem Vorhang trainieren zur gleichen Zeit die Jüngsten der RG Lahr. Die Erfolge der jungen Lahrer Ringer, die bei Einzelmeisterschaften häufig auf Platz eins der Vereinswertung stehen, können die Fenings angesichts eigener Erfahrungen gut einordnen. In den 90er Jahren stellte der KSV Lahr-Kuhbach bärenstarke Jugendstaffeln, die bei Deutschen Mannschaftsmeisterschaften auf dem Treppchen standen. Diese Buben bildeten die Grundlage für die Regionalligamannschaft der RG Lahr, die 2001 nur hauchdünn im Kampf um den Aufstieg in die 2. Bundesliga scheiterte. Zweimal zog der Verein seine erste Mannschaft danach zurück und unternahm einen Neuanfang in der Bezirksliga, nachdem Leistungsträger gegangen waren: zum ersten Mal im Jahr 2006, dann nochmal acht Jahre später. Die Fenings sind ihrem Verein treu geblieben – auch dies ein Hinweis darauf, dass er ihnen eine Heimat bietet.

"Ich fühle mich voll integriert."

Willi Fening:

Sie gehen aber auch mit der Erfahrung des Scheiterns um: "Es ist gut, dass es jetzt so Viele sind", sagt Willi mit einem zufriedenen Blick auf den im Training fröhlich krähenden Nachwuchs. "Dann bleiben davon am Ende ein paar übrig."

Ein Blick auf die Uhr, es ist noch Zeit. Nachher, um 19.30 Uhr tagt der Vorstand in der Kuhbacher Halle. Am Ende verweist Willi noch auf eine Aussage von Andreas Steinbach, dem ehemaligen Olympioniken, dessen Wiege in Tadschikistan stand und der die Lahrer Ringer trainiert. Nach dem Sieg im letzten Saisonkampf, als sich der Aufsteiger beim Freibier feierte, sagt dieser: "Wir müssen das Rad weiter drehen." Die Fenings, das steht fest, drehen kräftig mit.

Die Bürokratie und der neue Name

Vjatscheslav Fening kam als junger Mann mit der Familie nach Deutschland (siehe Artikel oben), doch hier wurde er zum Willi. Dabei ist dieser Namenswechsel eigentlich ein Produkt der deutschen Bürokratie. Als Fening ins Rathaus der Gemeinde Schwanau ging, um einen deutschen Pass zu beantragen, sah er sich mit einer praktischen Frage konfrontiert: "Vjatscheslav? Was willst du denn mit dem Namen?" Also hat sich der junge Mann einen neuen Namen überlegt, zusammen mit Nico Eichwald, seinem damaligen Freistil-Trainer bei der RG Lahr, der wie er ein Aussiedler ist. Sie kamen auf Willi. Der Name Vjatscheslav hat trotzdem danach noch eine Weile überlebt: Er stand im Ringerpass des Athleten. Doch diese Karriere ist vorbei, Vjatscheslav hat ausgedient.

Vielen Dank an Uwe Schwerer von der Badischen Zeitung für diesen tollen Bericht.